Lach- und Flachgeschichten

Mission "Lach- und Flachgeschichten" - Nikolausturnier in Münster - 30.11.2001

Die Münsteraner sind schon komische Leute. Veranstalten ein Sportevent mit etwa 2000 Teilnehmern in vielen verschiedenen Sportarten, welches verteilt über die ganze Stadt stattfindet, mit anschließender gemeinsamer Party in einem Riesenfestzelt. Feine Sache! Darunter auch ein Kanupoloturnier, also auch für uns eine feine Sache. Aber dann kommen sie irgendwie auf die wahnsinnige Idee, das ganze am Freitag zu machen, Meldetermin zwischen 9 und 11 Uhr - morgens, wohlgemerkt! Die Münsteraner sind komische Leute. Aber sind wir nicht alle ein bisschen münster?

Auf denn in die Autos! Um viertel vor sechs telefoniere ich planmäßig mit Claus, um gegenseitig sicherzustellen, dass wir nicht verschlafen. Um sechs wollen wir uns planmäßig mit den Autos beim Bäcker treffen. Um fünf vor sechs telefoniere ich unplanmäßig mit Sven, der mir mitteilt, dass sein Auto nicht anspringt. Unplanmäßig auch die folgenden Telefonate mit Simone und Friederike, um ihnen mitzuteilen, dass wir einen Großteil unserer Planung über den Haufen werfen und wie immer alles völlig anders machen. Auf dem Weg zu Sven holen Claus und ich noch Rike ab. Als wir dort wieder wegfahren wollen, springt unser eigener Wagen auch nicht an. Aber wir haben ja am Berg geparkt. Während wir bald darauf mittels Überzündkabel Svens Wagen anwerfen rätseln wir über die Ursache der Probleme und stellen danach fest, dass um diese Uhrzeit die Tankstelle noch nicht geöffnet hat. Egal, bis zur Autobahn reicht der Sprit. Wir erfahren per Verkehrsfunk noch von der Bergung eines auf unserer Strecke verunglückten LKW und kommen nach einem kurzen Stau irgendwann endlich in Münster an.

Nach unserer gelungenen Anmeldung fahren wir zum Ostbad und machen es uns im Vorraum gemütlich. Schülerhorden kommen und gehen, und wir warten nun einige Stunden, bis endlich die ersten Paddler eintreffen und das Turnier losgeht. Die Zeit bis dahin versüßen wir uns mit einem Flummi, den Friederike aus einem Automaten zieht. Mit dem Paddel ist er gar nicht so leicht zu erwischen - die Speisekarte des Cafes neben, die Bierleuchtreklame über und die Kiosk-Jalousie hinter mir dafür umso einfacher. Hausmeister sind nicht in Sicht. Wir unterhalten uns noch etwas mit einigen Münsteranern (nicht nur komische, sondern auch nette Leute übrigens), und dann öffnen sich die Tore zur Arena. Die Aufteilung nach Männlein und Weiblein ist wie in Paddlerkreisen so oft auch hier eher von theoretischer Natur. Willkommen in der Familie!

Das Bad ist gemütlich, warm und hell, die Tore, Netze und Boote sind schnell bereit, und dann beginnen die Spiele. Wir stehen am Rand und saugen auf, was wir an Informationen über unsere Gegner aus deren Spielen entnehmen können, diskutieren Strategien und schnacken mit anderen. Genug geplappert, wir sind dran. Wir stellen schnell fest, dass die Wasserballtore, auf die hier gespielt wird, entgegen unserer Annahme ziemlich schwierig zu verteidigen sind, da sie viel breiter sind als sie aussehen und im Gegensatz zu Kajakpolotoren nicht in zwei Metern Höhe ihre Unterkante haben, sondern auf Höhe der Wasseroberfläche. Auch die für uns ungewohnt niedrige Hallendecke setzt uns Grenzen für hohe Pässe. Wir werden also nicht nur im Sinne eines ruhigen, kontrollierten Spiels, sondern auch wörtlich versuchen, heute den "Ball flach zu halten". An dieser Stelle sei meine Bewunderung des einen münsteraner Keepers erwähnt, der fast wie eine Wand vor dem Tor wirkt. In unserem ersten Spiel komme ich mit diesen Dingern gar nicht klar, auch haben wir uns noch nicht eingespielt und werden von der gegnerischen Mannschaft ziemlich überrannt. Falko, Simone

und Sven können sich in den folgenden Spielen schneller als ich auf die neuen Tore einstellen, und so mache ich im Laufe des Turniers meine ersten ernsthaften Erfahrungen im Angriff ganz vorne. Als nächstes spielen wir gegen eines der zwei portugiesischen Teams. Zwei von ihnen sitzen heute erst das zweite oder dritte mal in ihrem Leben in einem Kajak und halten sich wirklich gut, sind uns aber dennoch unterlegen, und wir nutzen das Spiel, um uns zu sammeln, auf friedliche Art unseren Rhythmus wiederzufinden und unsere angekratze Moral wieder aufzubauen. Wie sich danach herausstellt, war das goldrichtig. Unsere folgenden Gegner sind nicht leicht zu knacken, aber wir sind "im Flow" und schaffen es, unsere Strategiepläne umzusetzen. Wie die genau aussehen, schreibe ich hier natürlich nicht!

Im vierten Spiel fliegen wir wohl ein bißchen zu hoch, unterschätzen außerdem die Münsteraner und spielen zu nachlässig. Die Rechnung folgt auf dem Fuße, wir gewinnen selten die Kontrolle über das Spiel und kassieren dementsprechend viele Tore. Münsteraner sind nicht nur komische Leute und nett, sondern auch ernstzunehmende Pologegner. Man lernt nie aus.

Nett sind auch die acht Spielerinnen und Spieler, die sich tatsächlich die Mühe gemacht haben, aus Portugal nach Münster zu kommen, um am Poloturnier teilzunehmen und ein paar Tage Deutschland kennenzulernen. 2600 Kilometer Fahrtstrecke - für einen Weg, natürlich! Das ist wahre Leidenschaft. Wir reden über dies und das (ich spreche ja fließend Portugiesisch - naja nein, aber sie englisch) und verständigen uns bald darauf, dass wir versuchen werden, ihre Universität dazu zu bringen, ihnen den Sprit nach Clausthal zu bezahlen, damit sie an unserem Kuschelturnier teilnehmen können. Räder müssen rollen...

An dieser Stelle möchte ich mal wieder erwähnen, dass auf den Turnieren immer wieder Situationen entstehen, die so direkt auf die Lachmuskeln zielen, dass es manchmal schwierig ist, weiterzuspielen. Natürlich gibt jeder sein bestes, aber wenn ein Gegner sekundenlang dem Spiel nicht mehr folgen kann und mehrfach "Mit einer Hand! Mit EINER Hand!..." stammelt, nachdem Claus mit Paddel und Ball im einen Arm mit dem andern Arm gerollt ist , oder wenn Falko einen Ball aus einer unsicheren Situation zurück zum Torwart Sven paßt und dieser dann riesige Augen bekommt, weil er ihn fangen muß, um ein Eigentor zu verhindern, oder wenn es ewig dauert, bis uns klar ist, wer denn nun die Ecke wirft, oder wenn der Schiedsrichter die Krise bekommt, weil mehr Paddler schwimmend als paddelnd auf dem Feld unterwegs sind, oder wenn wir uns zum wiederholten mal gehetzt in volle Rüstung stürzen, um dann festzustellen, dass wir noch gar nicht dran sind, dann leidet eben manchmal die Koordination. Das stört uns allerdings eher wenig - ohne diese Situationen wären die Spiele nur halb so schön.

Unsere Spiele kommen jetzt in kürzeren Abständen, zwanzig Minuten Pause sind nicht viel Zeit zum regenerieren. Wir essen eine Kleinigkeit zwischendurch und trinken den erlittenen Flüssigkeitsverlust wieder rein, schon sind wir wieder dran. Vorsichtig geworden nach der letzten Niederlage spielen wir jetzt voll auf Sicherheit. Die meisten Pässe sitzen, wir geben das Tempo an und lassen uns zu nichts drängen. Diese portugiesische Mannschaft ist hartnäckig. Wir versuchen, einen Kompromiß zwischen einem starken und einem kräftesparenden Spiel zu finden, da wir wissen, dass das letzte Spiel noch viel erwarten läßt. Wir spielen ein schönes Spiel mit Gegnern, die uns nichts schenken, aber unsere Rechnung geht auf.

Dann schlägt die große Stunde: Wir erwarten einen harten Kampf. Wir haben das Gefühl, dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass wir es schaffen. Wir wissen aber auch, dass das nicht im Weichspülgang gehen wird. In solchen Situationen besteht immer die Gefahr, die

Nerven zu verlieren und Fehler zu machen, die dem Gegner Chancen bieten. Es ist ein innerer Balanceakt zwischen Optimismus, Vorsicht, Konzentration und Entspannung. Vom Beckenrand bekommen wir wertvolles Feedback ins laufende Spielgeschehen von unseren Auswechselspielern, welche einen besseren Überblick haben und uns schnell auf etwaige Fehler aufmerksam machen können - sofern wir sie im Getümmel denn hören. Gleichzeitig auf diese Zurufe, den Ball, die Gegner und die Aktionen der Mitspieler zu achten, schnell Schlüsse zu ziehen, diese umzusetzen und all das im Idealfall schneller zu wiederholen als die Gegenseite, um dieser immer einen Schritt voraus zu sein - dies macht für mich den Reiz des Kajakpolo aus. Wir schaffen es, im "Flow" zu bleiben und unser gutes Zusammenspiel aufrechtzuerhalten. Münster macht Druck. Wir führen nach einigen Angriffen und versuchen nun, diesen Vorsprung zu halten. Jede Lücke in unserer Verteidigung wird sofort ausgenutzt, es entstehen haarige Situationen, die auszubügeln dann extrem kraftaufwendig und manchmal unmöglich ist. Tore fallen, auf beiden Seiten. Wir nutzen unsererseits jede sich bietende Gelegenheit zum intensiven Angriff und profitieren dabei besondes von unseren sauberen Pässen, mit welchen wir uns in letzter Zeit im Training beschäftigt haben. Eigentlich wollte ich mich in der kurzen Halbzeitpause durch Falko auswechseln lassen, da ich ziemlich auf dem letzten Loch pfeife. Das fällt mir allerdings erst ein, als die zweite Halbzeit schon anfängt, ich bin so auf Angriff und Abwehr konzentriert, dass ich es einfach vergessen habe. Vielleicht ist das gut so; wir haben uns jetzt eingespielt in diesem Spiel, und die kurze Zeit, die sich jemand, der neu auf das Spielfeld kommt, an den Gegner gewöhnen muß, wäre vielleicht das Zünglein an der Waage zugunsten der Münsteraner. Wir werden es nie erfahren, es gibt kein Spiel zweimal. Aber wir gewinnen!

Abgesehen von unseren Konditionstieren sind wir ziemlich k.o. Es dauert eine ganze Weile, bis ich wieder einigermaßen "auf dem Teppich" bin. Unabhängig vom Ergebnis ist es immer besonders schön, wenn ein gegnerisches Team, welches stark, aber nicht hoffnungslos überlegen ist, uns mit viel Widerstand fordert. Wir lernen auf diese Weise unsere wertvollsten Lektionen. Während wir unser Nachbriefing halten und das Spiel analysieren, fängt Simone plötzlich an, hektisch herumzulaufen und irgendetwas zu rechnen, und nach einer Weile wird uns klar, dass uns mindestens der dritte Platz sicher ist! Unglaublich! Wir haben die ganze Zeit nicht mitgerechnet und uns nur ums Spielen gekümmert, haben alles sehr genossen und versucht, unsere Vorgehensweise zu verbessern. Damit, uns so hoch über unseren traditionellen vorletzten Turnierplatz zu erheben, haben wir im Traum nicht gerechnet. Nach einigen weiteren Iterationsschleifen ist klar: Auch der 2. Platz ist uns sicher, und wenn die Portugiesen in ihrem letzten Spiel gegen Münster gewinnen, sogar der erste. Damit rechnen wir allerdings keinesfalls, scheinen sie doch wegen Ihrer teilweise recht geringen Erfahrung gegen Münster hoffnungslos unterlegen.

Wir haben uns mit ihnen bisher sehr gut unterhalten und in Weitergabe dessen, was wir schon von vielen erfahrenen Spielern erhalten haben, versucht, ihnen mit dem einen oder anderen Hinweis etwas zu helfen, ihr Spiel zu verbessern. So sind wir doppelt gespannt auf diesen Showdown - aus Sympathie mit dem David, der es mit Goliath aufnimmt, und weil Portugal uns theoretisch vom zweiten auf den ersten Platz hieven kann. Was wir nun sehen, glauben wir unseren Augen nicht. Ob Goliath wie wir weiß, dass es um unseren ersten Platz geht und daher unter Druck steht? Ob David sich denkt, dass es eh das letzte Spiel ist und alles gibt, was noch geht? Jedenfalls haben die Portugiesen seit Beginn des Turniers viel gelernt, scheint mir. Ein Druckvoller Angriff bringt bald ein Tor! Auch ein Gegentor kann sie scheinbar keineswegs verunsichern, sie tun, was in ihrer Macht steht, und Münster erkennt, dass eine harte Gegenwehr nötig ist. Die Schlacht tobt, auf beiden Seiten hagelt es förmlich Tore, und schließlich gewinnt das Team Portugal mit 7 zu 5 Toren. Das ist die unerwartete Sensation des Tages! Eine große Gesamtzahl Tore ist das, wenn man bedenkt, dass das Spiel nur 14

Minuten gedauert hat - fast jede Minute ein Tor. Und was lernt uns das ganze? Der Verlauf eines Spiels ist nie mit Sicherheit vorherzusagen, auch wenn er noch so sicher scheint. Die Metamorphose vom Underdog zum Sieger kann unerwartet plötzlich geschehen. Ich freue mich sehr, dass die Portugiesen diesen Erfolg genießen können, sie haben alles gegeben. Und sorry, Münster - revanchiert Euch auf unserem Kuschelturnier im Februar!

Inzwischen ist seit gut 9 Stunden ununterbrochen gespielt worden, und wir finden es bei allem Spielspaß angenehm, duschen und uns dem weiteren Abend widmen zu können. Nach einer kurzen Siegerehrung und längerem Ausrüstungsgerödel machen wir uns auf den Weg zu einem Mexikanischen Restaurant, um uns für die kommende Party wieder aufzutanken.

Die Nacht wird kurz - weniger wegen der Party als wegen der Tatsache, dass man mit aberhunderten von Leuten in einer stickigen Turnhalle mit lautem Schlechtluftgebläse nicht so gut schlafen kann. Nachdem ich rausgefunden habe, dass die meisten Besoffenen nicht in der Lage sind, den Lichtschalter für die Hauptbeleuchtung zu betätigen, wenn man diesen mit Tape versorgt hat, finde ich ein bisschen Schlaf. Nichtsdestotrotz müssen wir um sieben (!!!) Uhr morgens die Schlafhalle verlassen, da diese gereinigt werden soll. Habe ich schon erwähnt, dass Münsteraner komische Leute sind? Wir taumeln zum Frühstück im Festzelt und schon bald finde ich mich im Auto auf einem deliriösen Rückweg nach Hause. Es war einfach zu wenig Schlaf für so viel Action.

Wir sind einigermaßen überrascht von unserem unerwarteten Erfolg. Es scheint sich bei uns eine Wandlung zu vollziehen, irgendwie fügen sich die Einzelteile des Strategie-Puzzles, welches wir spielen, langsam zu einem homogenen ganzen. Natürlich ist noch viel zu tun, aber wir haben ja keine Eile damit, und es stehen noch viele Trainings und Turniere an, auf denen wir nur lernen und vor allem viel Spass haben können.

Unser Dank gilt den münsteraner Poluten, die die Organisation des Poloturniers auf sich genommen haben, allen Gegnern für die Möglichkeit, an ihnen zu lernen, und der portugiesischen Gruppe, welche den langen Weg gekommen ist, um unseren ersten Platz zu retten.

PS: Die Starthilfekabel haben wir nicht mehr gebraucht. Auch für Murphy gilt Murphy.